Polizei droht mit Fahrtenbuch, wenn der Fahrer nicht offenbart wird

So schnell geht es aber nicht. Die Polizei verfolgte eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 22 km/h. Der Halter und seine Frau schieden als Fahrer aus.

Zwar muß die Behörde nicht wahllos zeitraubende und kaum aussichtsreiche Ermittlungen anstellen; vielmehr könne sie die notwendigen Nachforschungen im Regelfall auf den Fahrzeughalter selbst und die in seinem Haushalt lebenden Personen beschränken. Allerdings handelte es sich bei dem Täter um eine jüngere männliche Person. Hier hätte die Behörde beim Einwohnermeldeamt ermitteln müssen, ob nicht auch der Sohn des Halters als Fahrer in Betracht komme. Das hatte sie unterlassen.

Ausschlaggebend für die Aufhebung des Bescheids fiel ins Gewicht, dass das zentrale Tatbestandsmerkmal des § 31a StVZO, nämlich die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers, nicht gegeben sei. Deshalb musste kein Fahrtenbuch geführt werden ( VG München, Urteil vom 10.12.2018M 23 K 18.5205).

 

 

Sachverhalt

Der Kläger hatte seinen PKW an eine andere Person ausgeliehen, die damit als Fahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 22 km/h überschritt. Im Anhörungsverfahren hat der Kläger dargelegt, dass er ausweislich des Radarfotos als Fahrer auszuschließen sei und unter Hinweis auf § 46 OWiG, §§ 52,55 StPO weitere Angaben verweigert. Daraufhin hat die zuständige Polizeiinspektion Ermittlungen aufgenommen (Besuch in der Wohnung des Klägers, wo sich dessen Ehefrau ebenfalls auf ihr Aussageverweigerungsrecht berief; Befragungen der Nachbarn, Abgleich des Beweisbildes mit einem Foto des Klägers bei der Wohnortgemeinde). Da diese zu nichts führten, hat die Behörde das Bußgeldverfahren eingestellt.

Im nächsten Schritt hat das Landratsamt nach § 31a StVZO die sich auf einen Zeitraum von sechs Monaten erstreckende Fahrtenbuchauflage gegen den Kläger erlassen und dabei 165 Euro Gebühren und 10,20 Euro Auslagen festgesetzt. Das VG München hat der Klage stattgegeben und hob den Bescheid aufgehoben.

Entscheidung

Das dem Kläger zustehende Aussage- und Zeugnisverweigerungsverweigerungsrecht bewirke, so das Gericht, nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung hier keine Verschonung vor einer Fahrtenbuchauflage, da dies dem präventiven Zweck des § 31a StVZO in Form des Schutzes der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs widerspräche. Diese Auflage sei keine unzulässige Sanktion für rechtmäßige Verweigerung der Mitwirkung bei der Tätersuche, sondern ein zulässiger, geringfügiger Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, der durch den legitimen Zweck der vorbeugenden Gefahrenabwehr gerechtfertigt sei. Ausschlaggebend für die Aufhebung des Bescheids falle aber ins Gewicht, dass das zentrale Tatbestandsmerkmal des § 31a StVZO, nämlich die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers, nicht gegeben sei. Hierzu seinen bis zum Ablauf der Verjährungsfrist nach § 26 III StVG nicht alle nach den Umständen des Einzelfalles angemessenen und zumutbaren Ermittlungsmaßnahmen getroffen worden. Allerdings sei es angesichts der begrenzten personellen Ressourcen der Polizei fernliegend und vom Aufwand her unrealistisch, dass die Polizei unmittelbar nach der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung den Fahrer vor Ort hätte stellen müssen. Regelmäßig müsse die Behörde auch nicht wahllos zeitraubende und kaum aussichtsreiche Ermittlungen anstellen; vielmehr könne sie die notwendigen Nachforschungen im Regelfall auf den Fahrzeughalter selbst und die in seinem Haushalt lebenden Personen beschränken.

Die Besonderheit des vorliegenden und schlechterdings zu verallgemeinernden Einzelfalls liege darin, dass der Kläger und ebenso seine Ehefrau von vorneherein als Täter ausschieden. Zu berücksichtigen sei, dass sich beide auf Zeugnisverweigerungsrechte nach §§ 46 I OWiG, §§ 52, 55 I StPO berufen hätten und dass es sich bei dem Fahrzeugführer um eine jüngere männliche Person gehandelt haben müsse. Vor diesem Hintergrund sei der tatsächlich tatverdächtige Personenkreis deutlich enger als der in § 52 I StPO. So hätte die Behörde ohne größeren Personal- und Sachaufwand im ohnehin eingesehenen Melderegister des Wohnortes des Klägers weitere Nachforschungen anstellen können. Datenschutzrechtliche Hindernisse hätten dem nicht entgegengestanden; die Einholung von Auskünften bei anderen Behörden sei im Bußgeldverfahren von § 46II OWiG, § 161 I 1 StPO gedeckt. Die Polizei hätte somit weitere Ermittlungsbemühungen entfalten müssen, zumal die Verjährungsfrist nach § 26 III 3 StVG zum Zeitpunkt, als alle für diese Erwägungen relevanten Umstände den Behörden bekannt geworden seien, noch (lange) nicht abgelaufen sei. Das Bußgeldverfahren hätte nicht über einen Monat vor Ablauf der Verjährungsfrist eingestellt werden dürfen.

Praxishinweis

Das sorgfältig begründete Urteil zeigt den richtigen Weg zu einem rechtsstaatlichen Verständnis des § 31a StVZO und seiner sachgerechten Anwendung auf. Es bestätigt, dass die Behörden keine uferlosen, alle theoretischen Möglichkeiten ausschöpfenden Nachforschungen zur Ermittlung des Fahrzeugführers anstellen müssen, dass sie aber dem Einzelfall gerecht werden müssen und sich nicht nach eingefahrenem Muster mit einigen wenigen Ermittlungsschritten begnügen dürfen. Einem Automatismus nach dem Motto, man brauche den Ermittlungslevel nicht hoch anzusetzen, man habe ja als Ersatzsanktion die Fahrtenbuchauflage zur Hand, ist mit der Entscheidung der Boden entzogen. Auch dem Einwand von Behördenseite, datenschutzrechtliche Gründe stünden weiteren Ermittlungen entgegen, hat das Gericht Grenzen gezogen. Folgerichtig offen gelassen hat das VG die Frage, ob die Verwaltungsgebühr für die Fahrtenbuchauflage von 165 Euro angemessen ist, ist sie doch in der Größenordnung doppelt so hoch, wie hier das Bußgeld für einen schuldhaften Verstoß gegen die der Sicherheit im Straßenverkehr dienenden Geschwindigkeitsbegrenzungen gewesen wäre.

 

Hierzu auch: VG Göttingen, Beschluss vom 10.04.2019, Az. 1 B 488/18

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