Fiktive Schadensersatzabrechnung - auch nach dem 22.2.2018? Ja

Der BGH entschied für das Werkvertragsrecht (deswegen auch der VII. Senat statt des VI.), dass der Besteller, der das Werk vom Bauunternehmer behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gegen den Unternehmer gem. §§ 634 Nr.4, 280, 281 BGB seinen Schaden nicht mehr nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen kann (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, BGH, Urteil vom 22.2.2018VII ZR 46/17; LG Darmstadt, Urteil vom 5.9.201823 O 386/17, hier wurde Berufung zum OLG Frankfurt eingelegt und das OLG Frankfurt hob das LG Darmstadt auf). Die gleiche Auffassung, wie das OLG Frankfurt vertrat wohl das OLG Oldenburg in seinem unveröffentlichten Hinweisbeschluss zum Az. 1 U 98/19.

Das, also Werkvertragsrecht, gilt aber nicht im "Deliktsrecht", welches bei Verkehrsunfällen gilt. Hier bleibt alles beim Alten. Der Abschied von den fiktiven Mangelbeseitigungskosten ergibt sich für das Werkvertragsrecht aus § 281 IV BGB, der die Naturalrestitution gem. § 249 BGB ausschließt. Im Deliktsrecht ist und bleibt § 249 BGB hingegen anwendbar und damit auch dessen Absatz 2 Satz 1, wonach bei der Beschädigung einer Sache der für deren Reparatur (= Naturalrestitution) „erforderliche“ Geldbetrag verlangt werden kann – ein klarer Hinweis darauf, dass die Reparatur nicht tatsächlich durchgeführt werden muss. Der Hinweis wird durch Satz 2 noch klarer: Wenn der in einer Reparaturrechnung enthaltene MWSt.-Betrag nur zu ersetzen ist, wenn er tatsächlich entrichtet wurde, dann setzt das die Möglichkeit voraus, die Reparaturkosten im Übrigen auch dann geltend zu machen, wenn sie gar nicht angefallen, also fiktiv sind ( Prof. Dr. Gerald Mäsch in JuS 2018,907).

Auch der V. Senat des BGH bejaht nach wie vor (im Kaufrecht) einen fiktiven Schadensersatzanspruch (BGH, Urteil vom 12.3.2021V ZR 33/19), wobei sich der Senat große Mühe gab, die Nichtvorlage an den Großen Senat zu begründen.

Das LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 4.6.2019 - 6 O 7787/18) entschied, dass auch im Kaufrecht Schadensersatzansprüche (weiterhin) fiktiv beziffert werden können.

Auch der VII. Senat des BGH stellte klar, dass diese Grundsätze der notwendigen konkreten Abrechnung nicht auf andere Konstellationen übertragbar ist: "Eine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten wird durch die allgemeinen Vorschriften der §§ 280, 281BGB nicht für alle Vertragstypen vorgegeben" (BGH NJW 2021, 53).

Das OLG Frankfurt a. M. hat dem LG Darmstadt attestiert, sich bei der Neuinterpretation der fiktiven Abrechnung Kompetenzen angemaßt zu haben, die nur dem Gesetzgeber zustehen. Der Beschluss ist mehr als lesenswert.

Das OLG Frankfurt wiederholte diese Rechtsauffassung nun in seinem Urteil vom 07.11.2019 (Az. 22 U 16/19).

Hierzu auch BGH, Urteil vom 22.2.2018VII ZR 46/17 -.

 

Allerdings birgt die fiktive Abrechnung, also ohne Reparaturrechnung und tatsächlich fachgerecht ausgeführter Reparatur ein Risiko für die Zukunft: erleidet das Fahrzeug später einen weiteren Unfall, wird der Fahrzeugeigentümer möglicherweise ein Problem haben, darzulegen, welcher Schaden dem Altunfall und welcher dem neuen Unfall zuzuordnen ist (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 28.2.2019323 O 188/17).

Wichtig:

"Neue Fahrt" nimmt die fiktive Abrechnung durch das Urteil des OLG München vom 17.12.2020 auf. Der Geschädigte hatte auf Gutachtenbasis abgerechnet, der Versicherung aber mitgeteilt, dass das Fahrzeug vollständig repariert worden sei. Daraufhin behauptete die Versicherun g "ins Blaue hinein", die Reparatur habe nicht 9.300 €, sondern nur 5.000 € gekostet.

Hätte der Geschädigte, ein Taxiunternehmer, nicht vorgetragen, dass er vollständig repariert hat, hätte die Versicherung natürlich die Reparaturkosten ohne MWSt zu erstatten gehabt. Wird aber offenbart, dass repariert wurde, schuldet die Versicherung nur den Ersatz der tatsächlichen Reparaturkosten.

Dabei besteht überhaupt keine Verpflichtung des Geschädigten, gegenüber der Versicherung darzulegen, ob er das Fahrzeug ganz, teilweise oder überhaupt nicht reparieren ließ. Das stellte das OLG München auch heraus:

"Bei einer tatsächlich durchgeführten sach- und fachgerechten Reparatur müsse der Unfallgeschädigte aber nicht zu den tatsächlichen Reparaturkosten vortragen, so das Oberlandesgericht, um die fiktiven Reparaturkosten ersetzt zu verlangen. Der Geschädigte sei nicht verpflichtet, zu den von ihm veranlassten oder nicht veranlassten Reparaturmaßnahmen konkret vorzutragen. Es bestehe auch keine sekundäre Darlegungslast dahingehend, dass der Unfallgeschädigte konkret zu den tatsächlichen Reparaturkosten vortragen muss, wenn der Unfallverursacher ins Blaue hinein behauptet, die tatsächlich angefallenen Kosten seien niedriger als die fiktiven." Oberlandesgericht München, Urteil vom 17.12.2020,24 U 4397/20 und auch AG Düsseldorf, Urteil vom 29.10.202040 C 134/20 (NZV 2021,270).

Etwas anderer Auffassung zur Abrechnung ist das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 08.09.2020 - 1-1 U 146/19 (DAR 2021, 199). Entsprechendes giult auch im Mietrecht. Hier darf der Vermieter Schadensersatzansprüche auch auf der Basis eines Kostenvoranschlags, also fiktiv, geltend machen (BGH Urteil vom 19.04.2023 –  VIII ZR 280/21).

Der Fall zeigt erneut, wie wichtig es ist, sich als Geschädigter nach einem Unfall anwaltlich begleiten zu lassen.

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