Fehlurteile werden von den Ländern billigend in Kauf genommen

Ein Richter (OWi-Abteilung) war wegen Rechtsbeugung angeklagt. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass dabei zu berücksichtigen sein kann, dass Richter überlastet sind und deswegen zu sachfremden Erwägungen neigen können (BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 14.7.2016 – 2 BvR 661/16).

Höchstrichterlich, nämlich durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), wurde auch entschieden, dass in Deutschland nicht nur, wie vom BVerfG festgestellt, falsch geurteilt wird. Gerichtsverfahren dauern auch viel zulange - und dies schon seit langer Zeit! Dies stellte der EGMR in seiner Entscheidung vom 02.09.2010 (NJW 2017, 3055) fest.

Der Rechtsbeugungstatbestand zielt auf die Sicherung und Wahrung der Verantwortlichkeit des Richters und die Achtung von Recht und Gesetz auch durch den Richter selbst. Die Verwirklichung dieses Ziels setzt voraus, dass dem Richter ausreichend Zeit zu einer allein an Recht und Gesetz orientierten Bearbeitung des Falls zur Verfügung steht. Im Einzelfall kann deshalb bei der Anwendung von § 339 StGB zu berücksichtigen sein, dass das gegenwärtige System der Bewertung richterlicher Arbeit Anreize für eine möglichst rasche Verfahrenserledigung auch unter Inkaufnahme inhaltlicher Defizite schafft und die Länder jedenfalls im Bereich der Strafjustiz steigenden Belastungen nicht durch eine entsprechende personelle und sachliche Ausstattung Rechnung getragen haben.

Oder anders gesagt: Der Landesherr als Arbeitgeber hat die Justiz so organisiert, dass es leicht zu Fehlurteilen kommen kann. Und, um noch einen drauf zu setzen: der Landesherr hat die Justiz so ausgestattet und organisiert, dass Gerichtsverfahren viel zu lange dauern (vgl. EGMR (V. Sektion), Urt. v. 2. 9. 2010 – 46344/06 (Rumpf/Deutschland)! Das muss nicht soweit gehen wie in einem im Januar 2023 durch Urteil des LG Karlsruhe vorläufig abgeschlossenen Strafprozess, in dem ein Amtsrichter in einem "Korruptionsprozess" (Az.: 4 KLs 730 Js 21302/17), wie die BNN schrieb, verurteilt wurde.

Auch der Verfassungsgerichtshof hob ein amtsgerichtliches Urteil auf, weil sich das Amtsgericht zuvor - selbst im Anhörungsrügeverfahren - geweigert hatte, relvanten Sachvortrag zur Kenntnis zu nehmen (Az. VerfGH NRW , Beschl. v. 21.6.2022 VerfGH 104/21. VB-2 (AG Wuppertal)).

Die Existenz dieses verfassungsrechtlichen Urteils zeigt, dass es prinzipiell angezeigt ist, sich vor Gericht anwaltlich vertreten zu lassen, selbst dann, wenn das Prozessrecht dies nicht als zwingend vorsieht.

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